Von Mai-Juni waren die Schlagzeilen in Kanada geprägt von teilweise apokalyptischen Bildern der schlimmsten Waldbrände seit Beginn der Aufzeichnungen. Fast 16 Millionen Hektar Baumbestand gingen verloren, eine Fläche größer als Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen zusammen. Ein heißer und trockener Sommer wirkte wie ein “Brandbeschleuniger” auf die teilweise durch Blitzeinschläge, aber auch von Menschen verursachten Infernos. Obwohl jährliche Waldbrände in Kanada nichts Ungewöhnliches sind, hat das Ausmaß und die bedrohliche Nähe zu urbanen Zentren Bevölkerung und Politik monatelang in Atem gehalten.
Daneben dominierten außenpolitische Themen die Presse: Nach kurzen Aufregern über chinesische Spionageballons, die offenbar (auch) über Kanada Fotos machten, folgte ein politischer Eklat mit Indien. Der indische Geheimdienst wurde verdächtigt, einen lokalen Sikh-Führer in Kanada ermordet zu haben, was an skrupellose Methoden autoritärer Staaten erinnerte und eine diplomatische Eiszeit zwischen Kanada und Indien nach sich zog.
Innenpolitisch blieb und bleibt der teure Wohnraum in den Ballungszentren Kanadas ein beherrschendes Thema. Hohe Immobilienpreise und Baukosten, gestiegene Hypothekenzinsen, bürokratische Regulierungen und ein viel zu geringes Wohnungsangebot treiben eine stark wachsende Bevölkerung in den Mietwohnungsmarkt. Weiter steigende Mieten sind die Folge. Die linkslastigen Regierungen in Ottawa und British Columbia reagierten mit typischer Verbotspolitik (neben diversen Zusatzsteuern u.a. ein Kaufverbot von Wohnimmobilien für Ausländer ab dem 1.1.2023), bevor sich im Laufe des Jahres die Erkenntnis durchsetzte, dass auch die Angebotsseite gestärkt werden sollte. Die Aussetzung der Mehrwertsteuer bei den Baukosten für Projektentwickler war ein Anfang, ist aber bei weitem nicht ausreichend, um die Herausforderungen im kanadischen Wohnungsmarkt in den Griff zu kriegen. Das Wohnungsangebot muss massiv ausgeweitet werden.
Denn neben den USA ist Kanada wirtschaftlich am besten aus der Pandemie gekommen und kann dabei die höchsten Wachstumsraten bei der Bevölkerungsentwicklung aufweisen. Dies ist einer klugen und funktionierenden Einwanderungspolitik zu verdanken, die mittlerweile jedes Jahr eine halbe Million qualifizierter Fachkräfte auf Basis eines rigiden Punktesystems ins Land holt und es zudem schafft, diese vielen Menschen relativ geräuschlos in die Gesellschaft zu integrieren.
Auch wird Kanada mittlerweile als einer der wichtigsten internationalen Handelspartner mit klaren wertebasierten Regelungen anerkannt. Das Land spielt eine entscheidende Rolle im Energiesektor, als führender Produzent von Öl, Gas, Wasserkraft, Uran und den für die grüne und digitale Wirtschaft benötigten kritischen Mineralien. Da das Land keine Militärmacht ist, könnte eine außenpolitische Priorität die Gewährleistung berechenbarer Energiemärkte, sicherer Versorgungswege und stabiler Partnerschaften sein. Positive Initiativen sind bereits mit Deutschland und der EU in Form der “Grünen Allianz” entstanden. Diese Positionierung könnte Kanada in eine stärkere Rolle als die der USA bringen, der Wahrnehmung eigener Interessen dienen und dem Land die Rolle auf der Weltbühne geben, die es angesichts seiner natürlichen Ressourcen und seiner liberalen und friedliebenden Einstellung verdient.