03.05.2025

Kanada hat gewählt: Mark Carney gewinnt – Kurswechsel in Krisenzeiten

Der neue starke Mann in Kanada heißt Mark Carney. Der 60-jährige Ökonom und ehemalige Chef der Notenbank konnte sich nach einem parteiinternen Machtwechsel im März zunächst gegen den stark angeschlagenen Justin Trudeau durchsetzen – und nun auch bei den Neuwahlen gegen die Opposition. Carney, der nie ein politisches Mandat besaß, tritt als Außenseiter mit Insiderwissen an. Er gilt als international vernetzter Wirtschaftsexperte und verkörpert die wirtschaftliche Elite Kanadas.

Wahlverlauf und Ergebnisse

Die Liberalen konnten unter Carney ihre Sitzanzahl auf 168 Sitze ausbauen, verpassten jedoch die absolute Mehrheit. Die Konservativen verbesserten ihr Ergebnis ebenfalls, blieben aber hinter den Erwartungen zurück. Kleinparteien wie die NDP, die Grünen oder der Bloc Québécois verloren deutlich.

Die Kanadier entschieden sich somit mehrheitlich für politische Stabilität, ohne aber einem Lager bedingungslos zu folgen.

Wählerumfragen zeigten, dass Carney als der geeignetste Kandidat für den Umgang mit den Herausforderungen in den Beziehungen zu den USA gilt – insbesondere mit Blick auf die protektionistische Handelspolitik von US-Präsident Trump. Doch viele Kanadier betrachteten seine Kandidatur auch skeptisch als bloße Fortsetzung der Trudeau-Ära. Sein Hauptkonkurrent Pierre Poilievre (45), der lange als der klare Favorit galt, trat als erfahrener Berufspolitiker und langjähriges Mitglied der Konservativen an. Als charismatischer Redner, der für klare Worte, aber oft vereinfachende Botschaften steht, engagierte er sich frühzeitig in der Politik, war kurzzeitig Minister und übernahm 2022 den Parteivorsitz. Doch obwohl die Konservativen zulegen konnten, verlor er seinen Wahlkreis – ein deutliches Votum gegen polarisierende Rhetorik.

Regionale Besonderheiten und Wahlsystem

Bemerkenswert: Beide Spitzenkandidaten stammen aus der westlichen Provinz Alberta – ungewöhnlich in einem Land, in dem Wahlen traditionell in den bevölkerungsreichen Provinzen Ontario und Québec entschieden werden, da dort die meisten Wahlkampfveranstaltungen stattfinden. Gewählt wird nach dem britischen Mehrheitswahlrecht („First-past-the-post“), bei dem der Kandidat mit den meisten Stimmen im Wahlkreis das Mandat erhält. Das System führt häufig zu Minderheitsregierungen, die von kleineren Parteien gestützt werden müssen – ein Modell, mit dem Kanada historisch vertraut ist.

Neue Dynamik durch geopolitische Spannungen

Ein entscheidender Faktor für Carneys Erfolg war die zunehmende Sorge um Kanadas wirtschaftliche Souveränität und internationale Positionierung. Trumps aggressive Handelspolitik, etwa durch neue Zölle, traf einen empfindlichen Nerv. In der Folge wuchs der nationale Zusammenhalt. Regionale Konflikte – etwa zwischen Québec und dem Rest des Landes oder zwischen Alberta und der Bundesregierung – rücken in den Hintergrund. Carneys Wahlkampfmotto „Canada Strong“ traf diesen Nerv. Er positionierte sich als Garant für wirtschaftliche Stabilität, nationale Einheit und internationale Handlungsfähigkeit. Kanada, einst als ruhiger Nachbar im Windschatten der USA gesehen, wird zunehmend zum geopolitischen Frontstaat – zwischen einem schwieriger werdenden Amerika und einer sich verändernden Arktisregion.

Herausforderungen und Ausblick

Carney steht vor der Aufgabe, eine Politik der Mitte zu formulieren, die über den Status quo hinausgeht. Dazu gehört eine Stärkung von Wirtschaft und Verteidigung, eine aktive Industriepolitik sowie das Aufgreifen berechtigter Anliegen westkanadischer Provinzen. Gleichzeitig sollte er konstruktive Vorschläge der Konservativen integrieren – etwa zum Bürokratieabbau und Effizienzsteigerung bei der Verwaltung, zur Beseitigung regulatorischer Hürden für Investitionen und zur Eliminierung der innerkanadischen Handelsbarrieren. Angesichts der Schwäche der kleinen Parteien erscheint eine parteiübergreifende Zusammenarbeit unausweichlich.

Internationale Verantwortung

Kanadas neue Regierung steht auch außenpolitisch unter Zugzwang. Die Verteidigung des Freihandels gegen US-Protektionismus wird zu einer Kernaufgabe. Bereits ausgehandelte Abkommen wie das mit der MERCOSUR-Staatengruppe warten auf Ratifizierung. Zugleich wird Kanada seine Position in einer sich wandelnden geopolitischen Ordnung neu definieren müssen. Die Rolle als verlässlicher, liberaler Partner in einer zunehmend fragmentierten Welt ist keine Selbstverständlichkeit mehr, sondern ein aktiver Gestaltungsauftrag. Mark Carney steht nun vor der Herausforderung, seine wirtschaftliche Expertise in politische Führung zu übersetzen – und ein Land zu einen, das in einer zunehmend unübersichtlichen Welt seine Stellung neu behaupten muss.