Kanada wählt am 20.09. – Trudeau könnte zu hoch gepokert haben

Premierminister Justin Trudeau könnte sich mit seiner Entscheidung, die Neuwahlen vorzuziehen, verkalkuliert haben. Einige Tage vor der Entscheidung sehen Umfragen seinen konservativen Herausforderer Erin O’Toole vor dem liberalen Premierminister, der seit Oktober 2019 eine Minderheitsregierung bildet. Vier Jahre zuvor war Trudeau als „junger Hoffnungsträger“ angetreten und konnte eine absolute Mehrheit erringen.

Begründet hat Trudeau die nun stattfindenden Wahlen damit, dass die Bevölkerung über den weiteren Weg im Kampf gegen Covid-19 und beim Wiederaufbau der Wirtschaft entscheiden solle. Viele Kanadier haben für den Zeitpunkt der Abstimmung allerdings wenig Verständnis, denn die Regierung hatte den Haushalt einschl. Maßnahmen gegen die Pandemie mithilfe der Opposition bereits durchgebracht, und es war Trudeau selber, der zuvor Wahlen während der Pandemie-Zeit abgelehnt hatte.

Auch das eher halbherzig erscheinende Krisenmanagement seiner Regierung bei aktuellen Themen (vierte COVID-Welle, Waldbrände, Außenpolitik) und Affären wie z.B. die öffentliche Einflussnahme auf einen Strafprozess im sogenannten „SNC-Lavalin“-Prozess haben das öffentliche Ansehen des einstigen „Shootingstars“ Trudeau beschädigt und das Vertrauen in seine Führungsqualitäten eher geschwächt.

Neben den Liberalen und Konservativen stehen die sozialdemokratische New Democratic Party und der nur in Québec antretende Bloc Québecois zur Wahl an, daneben Grüne und Unabhängige, denen aber nur Außenseiterchancen eingeräumt werden. In Kanada besteht ähnlich wie in den USA ein Mehrheitswahlrecht, d.h. das Wahlkreismandat gewinnt derjenige, der dort die meisten Stimmen hat.

Der konservative Erin O’Toole hat damit realistische Chancen, als Premierminister einer Minderheitsregierung an die Macht zu gelangen, zumal er aus taktischen Erwägungen einige liberale Standpunkte wie die Unterstützung von Gewerkschaften oder die Forderung nach Preisen für klimaschädliche Emissionen übernommen und gleichzeitig klassische rechte Hardliner-Positionen (z.B. bestimmte Waffengesetze) zurückstellt hat, um liberale Wähler der Mitte zu gewinnen. Und auch die New Democratic Party mit ihrem charismatischen Spitzenkandidaten Jagmeet Singh könnte den Liberalen im linksliberalen Bereich Stimmen abzujagen, auf die aber Trudeau insbesondere in den Metropolen angewiesen ist.

In einigen Tage wird sich zeigen, welchen grundsätzlichen Kurs Kanada eher steuern wird, tendenziell weiter linksliberal oder eher ein rechter, konservativer Weg mit liberalen Elementen.