Kanada hat gewählt – Ergebnisse und mögliche Konsequenzen

Die vorgezogene Wahl am 20. September hat im Kern die zuvor bestehenden Stimmenverhältnisse im kanadischen Parlament bestätigt. Justin Trudeau, der mit dieser „Snap election“ auf eine Mehrheit für seine liberale Partei spekuliert hatte, gewann zwar eine dritte Amtszeit als Premierminister, kann aber wie bisher nur eine Minderheitsregierung bilden. Die Liberalen gewannen 160 Sitze (170 wären für eine Mehrheit notwendig gewesen), die Konservativen 119 und die Neue Demokratische Partei (NDP) 25 Sitze, genauso viele wie die nur in der Provinz Québec antretende Separatistenpartei „Bloc Québécois“. Trudeau kam dabei das kanadische Mehrheitswahlrecht zugute, um einen Sieg der konservativen Partei zu verhindern, denn die Verteilung der Mandate in den Wahlbezirken erfolgt nach dem Prinzip der absoluten Mehrheit. Letztlich waren einige Dutzend umkämpfte Wahlbezirke in den Vorstädten von Toronto, Montreal und Vancouver für die Wiederwahl Trudeaus ausschlaggebend.

Traditionell kennt Kanada keine Koalitionen, sondern entweder absolute Mehrheiten oder Minderheitsregierungen mit einer durchschnittlich zweijährigen Haltedauer. Neben der Klimakrise waren es innenpolitischen Themen wie die steigenden Lebenshaltungs- und Gesundheitskosten, mögliche Änderungen bei den Waffengesetzen und die fortgesetzte Aussöhnung mit den indigenen Volksgruppen, die den Wahlkampf dominierten.

Als älteste Partei Kanadas beruft sich die liberale Partei auf Freiheit, Liberalismus und Gleichheit vor dem Gesetz und ist im politischen Spektrum Kanadas tendenziell links einzuordnen. Kernforderungen sind eine für alle Bevölkerungsschichten zugängliche Gesundheits- und Rentenversorgung, die Friedenssicherung unter Beibehaltung des Multilateralismus und Multikulturalismus sowie ein starkes Waffenkontrollrecht.

Die 2003 gegründete Konservative Partei unter dem Vorsitz von Erin O’Toole ist die zweitgrößte Partei in Kanada und im politischen Spektrum eher Mitte rechts angesiedelt. Zu den wichtigsten politischen Themen gehören die Wahrung der Rechte und Freiheiten des Einzelnen, ein ausgeglichener Staatshaushalt, die Senkung der Mehrwertsteuer, das Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA) und die Verhandlungen über die Trans-Pazifik-Partnerschaft (TPP).

Bei der New Democratic Party (NDP) handelt es sich um eine kleinere Partei, die weiter links von der Liberalen Partei steht und sich für die öffentliche Gesundheitsversorgung sowie LGBT-Rechte, internationalen Frieden, Rechte der Ureinwohner und den Umweltschutz einsetzt.

Alle Parteien haben im Wahlkampf eine Tendenz zu weiter erhöhten Fiskalausgaben angedeutet, die während der Pandemie massiv gesteigert wurden und zu einem drastischen Haushaltsdefizit geführt hatten. Die Notwendigkeit der Liberalen, ihre Ziele nur mit Hilfe der NDP durchsetzen zu können, dürfte eine Ausweitung des Defizits bedeuten. Die Wunschlisten sind lang: Erhöhung von Pensionszahlungen, Zuschüsse für Kinderbetreuung und bezahlbaren Wohnraum, Investitionen in nachhaltige Energieträger … etc. Eine konservative Regierung hätte hier vermutlich einer Haushaltskonsolidierung und Stärkung der Angebotsseite bei Unternehmen (Investitionsanreize, Steuersenkungen) den Vorzug gegeben.

Spannend und entscheidend wird die Frage sein, wie alle diese Maßnahmen finanziert werden sollen, auch angesichts drohender Zinssteigerungen im kurzfristigen, aber auch langfristigen Laufzeitenbereich. Die Liberalen wollten im Wahlkampf den großen Banken und Versicherungen eine Drei-Prozent-Zusatzsteuer auferlegen und sie zwingen, der Regierung durch eine “Canada Recovery Dividend” mehr Gelder zur Verfügung zu stellen. Solche Maßnahmen wären Gift für die Gewinne im Finanzsektor, aber erfahrungsgemäß sind solche Ankündigungen eher Wahlkampfgetöse und rechtlich kaum durchsetzbar. Wahrscheinlicher dürften (weitere) Steuererhöhungen bei Luxusgütern und Wohnimmobilien oder auch eine mgl. Anhebung der Gewinnsteuer (Capital Gains Tax) sein. Ende Oktober wird das neue Kabinett vorgestellt und bis Ende des Jahres sollten sich erste konkrete Maßnahmen der neuen Regierung abzeichnen, die dann ggf. ein taktisches Handeln für Investoren notwendig machen könnte, sowohl bei liquiden als auch bei illiquiden Anlageklassen. Gemeinsam mit unseren kanadischen Kooperationspartnern werden wir diese Entwicklungen im Sinne unserer Kunden weiter sehr eng verfolgen und – wenn sinnvoll – entsprechende Handlungsempfehlungen geben.